Allgemein bekommt ein Einzelspieler für jede gewonnene Partie einen Punkt, für jede Partie mit unentschiedenem
Ausgang einen halben und für einen Verlust keinen. Mannschaften bekommen zwei Punkte für den Fall, daß sie
mehr Brett(Einzel-)punkte erringen, einen bei Gleichstand, ansonsten keinen. Besonders bei Einzelturnieren kommt es sehr
häufig vor, daß am Ende mehrere Spieler oder Spielerinnen dieselbe Punktzahl erreicht haben. Man kann
einfachheitshalber den Kampf gegeneinander oder das Los entscheiden lassen, aber im Sinne einer sportlich fairen Entscheidung
wurden mehrere Wertungssysteme entwickelt, die sich bemühen, auch die Stärke der Gegner, den Turnierverlauf oder
gar die Qualität des Spieles in Betracht zu ziehen und damit möglicherweise zu erhöhen. Welche Wertung(en) im
einzelnen Anwendung findet, ist jeweils Bestandteil der Ausschreibung eines Turnieres, da davon auch die Taktik oder
Aufstellung abhängen können und so Streitereien im Nachhinein vermieden werden. Außer klaren einfachen Wertungen
wie Anzahl der entschiedenen Partien oder Schwarzpartien gibt es im Wesentlichen die unten angegebenen Wertungen.
Reinhard Baier machte mich auch auf eine (englische) Sammlung auf den Seiten von
SwissPerfect aufmerksam.
Berliner Wertung
Diese Wertung, die auch Reziprokwertung genannt wird, findet bei allen Mannschaftskämpfen des BSV Anwendung, besonders
aber in der Pokalmeisterschaft. Es werden hierbei am ersten Brett so viele Wertungspunkte vergeben, wie Bretter pro Mannschaft
zu besetzen waren. Am zweiten Brett gibt es einen Wertungspunkt weniger, je einen weiteren weniger an den folgenden Brettern,
so daß am vorletzten Brett zwei Punkte und am letzten Brett einer vergeben werden.
Die Wertungspunkte am jeweiligen Brett werden dem Sieger der Partie an diesem Brett zugesprochen; bei remis werden sie auf
beide Spieler (in gleiche Teile!) aufgeteilt. Gewonnen hat die Mannschaft, die mehr Wertungspunkte erlangen konnte. Haben
beide Mannschaften gleich viele (z.B. unentschieden an allen Brettern), so tritt die nächste in der Ausschreibung
festgelegte Wertung in Kraft. In der Berliner Wertung wird also ein Sieg am ersten Brett am höchsten bewertet und am
letzten Brett am niedrigsten.
Buchholzwertung (BHW)
Die BHW kommt in den weitaus meisten Turnieren zur Anwendung, die nach Schweizer System gespielt werden, also auch in den
meisten Turnieren insgesamt. Sie ergibt überhaupt keinen Sinn in einem Rundenturnier, in dem jeder gegen jeden spielt.
Bei Punktgleichheit werden in der BHW die Punkte der Gegner einfach addiert, unabhängig vom Ausgang der Partien. Wer
bei gleicher Punktzahl die höhere BHW erreicht, ist besser plaziert. Sollten sowohl Punktzahl als auch BHW zweier oder
mehrerer Spieler gleich sein, kann auch die verfeinerte BHW (Buchholzsumme) Anwendung finden, in der die
BHWen der Gegner in gleicher Weise
wie die Punkte zuvor addiert werden. Man wird also direkt dafür belohnt, wenn man gegen stärkere Spieler gespielt hat.
Es gibt auch eine sogenannte mittlere BHW, bei der das beste und schlechteste Ergebnis jeweils aus der Wertung gestrichen
werden. Weitere Spielarten sind, daß bei großen Turnieren die besten oder schlechtesten zwei weggestrichen werden
oder für die obere schlechte Ergebnisse, für die untere gute. Manchmal wird dieses Wegstreichen auch nur benutzt,
um eine gleiche Anzahl tatsächlich gespielter Partien zu haben. In letzter Zeit wird in sehr kurzen Turnieren (5 Runden)
gerne die erste Runde gestrichen, weil man da ja einen sehr schwachen Gegner bekommt und nichts für kann. Ich finde, die
Punkte müssen da als Ausgleich reichen. Statt von 5 Runden eine zu streichen, sollte man dann doch eher würfeln, wer gewinnt.
Inzwischen ist es FIDE-Regel, daß kampflose Siege jeweils wie ein Remis gegen einen selbst in die Wertung einfließen.
Dies hat Vor- und Nachteile. Es verringert vor allem einmal Möglichkeiten der Schiebung in der letzten Runde, da es für
diese einen angemessenen Ausgleich schafft. Allerdings bekommt man immer noch Punkte, ohne etwas zu tun. Es ist nur schwer zu
vermeiden, wenn der Gegner nicht kommt. Bekommt man früh einen kampflosen und spielt dann oben mit, hat man allerdings einigen
Vorteil aus dieser Regelung. Deswegen gehen die kampflosen aber auch an den jeweils letzten.
Nach einigen Erfahrungen mit einer FIDE-geregelten BHW hat sich diese doch ordentlich bewehrt. Die
ursprüngliche Variante ist ja eh schon so lange "in Betrieb", daß sie recht brauchbar sein muß
Probleme machten da nur ungespielte Partien. Erst gab es keine Wertungspunkte für diese, nun zählen
sie wie ein Remis gegen sich selbst. Im Vergleich zu vorher werden also für
- eine kampflose Niederlage eines Gegners ein halber Punkt hinzu
- einen kampflosen Sieg eines Gegners ein halber Punkt heraus
- eine eigene nicht gespielte Partie die eigenen Punkte hinzu
gerechnet. Das ist wohl die fairste Lösung, die mit einer einfachen Regel hinzubekommen ist.
Ich wäre dennoch für zwei Änderungen:
Wer kampflos verliert sollte selbst auch keine Wertungspunkte dafür bekommen (Problem sind nur
überlappende Turniere). Bei einem eigenen kampflosen Sieg sollten die eigenen Punkte vor der Runde
sowie ein halber Punkt für die aktuelle und jede folgende Runde in die Wertung einfließen.
Rundenwertung (Progresswertung)
Diese Wertung ist mir öfter in Tschechien begegnet, wurde aber auch schon in berliner Turnieren ausgeschrieben. Man
erhält nach jeder Runde soviele Wertungspunkte hinzu, wie man Punkte erreicht hat. Auf dasselbe Ergebnis kommt man, wenn
man für die erste Runde so viel Wertungspunkte erhält, wie es Runden gibt, und für die weiteren Runden je einen
Punkt weniger, so daß man in der vorletzten Runde zwei Punkte und in der letzten einen bekommt, vorausgesetzt allerdings,
man gewinnt die jeweilige Runde. Bei Remis gibt es noch die Hälfte, für eine Niederlage erhält man keine
Wertungspunkte. Ein Sieg (auch ein unentschieden) in der ersten Runde wird also deutlich höher bewertet, als ein Sieg in
der letzten Runde. Dieses System soll offensichtlich das durchaus übliche "taktische Remis" in der ersten Runde
einschränken und die Spieler motivieren, von Anfang an mit voller Kraft zu spielen.
Kommentar eines Schiedsrichters: Diese Wertung stammt aus der Zeit, als Schiedsrichter zu faul waren, die BHW per Hand auszurechnen.
Sonneborn-Berger-Wertung (SBW)
Die SBW wurde von Oskar Gelbfuhs im 19. Jahrhundert entwickelt und bekam ihren Namen von William Sonneborn und Johann Berger,
die ihr zur Durchsetzung verhalfen. Sie beruht auf der Annahme, daß von zwei Spielern, die in einem Turnier die selbe
Punktzahl erreicht haben, derjenige der stärkere ist, der seine Punkte im Spiel gegen die stärkeren Gegner erlangt hat.
Die SBW findet bei den weitaus meisten Einzelrundenturnieren Anwendung. Man erhält für jeden Gegner dessen
Endpunktzahl multipliziert mit der gegen diesen Gegner erreichten Punktzahl. Hatte man also gegen einen einen Spieler, der am
Ende sechs Punkte erkämpft hat, remis gespielt, so erhält man drei Wertungspunkte. Wie bei der BHW
zählen kampflose Partien als Remis gegen sich selbst. Die SBW wird auch bei Mannschaftsturnieren angewandt. Außerdem kann man auch hier eine
zweite SBW (Feinwertung) vornehmen, indem man die Punkte gegen Wertungspunkte ersetzt. Ob das sinnvoll ist, weiß ich nicht.
Aus mehreren Gründen führen kampflose immer wieder zu Streitigkeiten nach Turnierende, oft auch unter daran Unbeteiligten.
Zum einen hat die FIDE erstmal Erfahrungen sammeln müssen und verbessert die Regeln zu dem Thema schrittweise. So müssen
Turnierleiter auf dem Laufenden bleiben, verlassen sich in letzter Zeit auf die Software, bei der es zumindest in unseren
Gegenden auch noch ein Quasi-Monopol gibt. Damit kommen die FIDE-Regeln oft (auch entgegen der Ausschreibung) gar nicht zur
Anwendung.
Sprachlich
Inzwischen gilt die recht einfache Regel: "Kampflose Partien zählen für die Wertung wie ein Remis gegen sich selbst."
Ok, auf den ersten Blick einfach: "Eine Partie wird zwischen zwei Spielern gespielt." und "Eine Partie kommt zu Stande,
wenn mindestens ein Zug ausgeführt wird." Ähnliche Probleme ergeben sich auch mit der englischen Formulierung
"unplayed games" - also "ungespielte Spiele". In erster Näherung also ein Paradoxon. Das wird für die Praxis relevant,
wenn Spieler sich für eine Runde abmelden, also nicht einmal ausgelost werden. Dann kann man von einer Partie kaum
noch sprechen. Da in den allermeisten Ausschreibungen eine Rundenzahl festgelegt ist, sollte man wohl von "ungespielten
Runden" sprechen. Ansonsten wäre einem Dritten zu erklären, warum es für ihn besser ist, wenn seine Gegner das Ergebnis
-:- erreichen als gar kein Ergebnis.
Auch wird in den Regeln nicht direkt zwischen kampflosen "Siegen" und Niederlagen unterschieden. Es gilt nur
"Ein Spieler, der nicht anwesend ist, kann keine Punkte erhalten.", aber sind Wertungspunkte auch Punkte?
Hier tritt Relevanz meist dadurch auf, daß ein Favorit einem Gegner zu sehr Angst gemacht hat und das Spiel
ohne Kampf gewinnt. Am Ende entscheidet dann die Wertungspunktvergabe für diese Runde über die Turnierplatzierung.
Ohne Wertungspunkte hat der Favorit ohne eigenes Verschulden geringe Chancen auf den Turniersieg. Mit den eigenen
Punkten in der Buchholzwertung hat er zusätzlich zum kampflosen Punkt eine hohe Wertung und dürfte den Mitfavoriten
voraus sein. Die Punkte seines "Gegners" zu nehmen, wäre etwas absurd, da er gegen ihn ja nicht gespielt hat.
Da meist die Schwächeren die kampflosen abgeben, wäre der Favorit mit der halben Rundenzahl als Wertung gut bedient,
aber was hilft das dem, der gegen einen Starken kampflos gewinnt? Es ist auch eine Stelle, wo der Turnierleiter
ungern selbst entscheiden will. Bei 700 Partien in einem Turnier will er nicht einzelne Wertungen festlegen
sondern klare Regeln. Ich finde, die FIDE-Regeln haben sich in diesem Punkt bisher immer weiter verbessert und
sind nun auch recht klar und einfach, werden aber nicht konsequent umgesetzt.
Das beste, das mir zur Zeit einfällt, wäre die aktuelle FIDE-Regel für ungespielte Runden der Gegner sowie die
eigenen Punkte vor einem kampflosen Gewinn plus die Hälfte der verbleibenden Rundenanzahl. Außerdem sollte es
Spielern nicht erlaubt sein, im Schweizer System nur einzelne Runden zu spielen.
Im Vergleich zu Einzelturnieren haben Mannschaftsturniere deutlich weniger Teilnehmer. Außerdem haben auch sie
eine relativ überschaubare Rundenanzahl. In Ligensystemen sind an die Hälfte der Mannschaften von Ab- oder Aufstieg
betroffen. Außerdem gibt es mit den Brettpunkten als Wertung eine breite Auswahl an Möglichkeiten (0-8 Punkte).
Analog zum Einzelturnier würde man die Brettpunkte mit 4 ansetzen, in der Praxis meist auf 8. Letztere Variante
ist höchstens Gewohnheitsrecht und in kaum einer Turnierordnung zu finden. Damit würde erstere prinzipiell den
Regeln genügen, aber beide sind zu pauschal, um gerecht zu sein. In Berlin war diese Frage nicht von Relevanz,
seitdem ich etwas mit dem Spielbetrieb zu tun habe. Allerdings entschied solch ein Fall letzte Saison den Abstieg
in der Oberliga Nord Staffel Nord. Dieser Fall ist auch exemplarisch für jede angedachte Lösung.
Eine Turnierordnungsregelung läßt sich nach zwei Kriterien bewerten: Klarheit und Fairneß. Klarheit entsteht
meist durch Einfachheit und zur Fairneß gehört die Sicherheit gegenüber Manipulationen.
Es stehen im Wesentlichen zwei Lösungsansätze im Raum, wobei der dritte analog zu Einzelturnieren eine statistische
Lösung wäre. Man könnte ausrechnen, wieviele Punkte die Mannschaft theoretisch erreicht hätte. Allerdings kann
sie dadurch auch ohne eigenen Fehler Brettpunkte verlieren, woran man schon sieht, daß dieser Ansatz sehr
problematisch ist und einige Erfahrung und komplizierte Formulierungen bräuchte. Deutlich klarer ist ein
vielseits praktiziertes 8:0. Sollte es irgendwann mal in einer Turnierordnung stehen, läßt sich wenig dran
rumdeuteln. Allerdings ist ein 8:0 ein sehr seltenes und damit ein unrealistisches Ergebnis. Wie unfair es ist,
sieht man im konkreten Fall. An den ersten drei Bretten kam regulär ein 2,5:0,5 zu Stande. Um nicht abzusteigen
hätte die Mannschaft bei korrekter Aufstellung der Gegner an den letzten fünf Brettern fünf Punkte holen müssen,
wobei das letzte Brett die selbe (korrekte) Paarung gesehen hätte. Eine haushoch unterlegene Mannschaft erhielt
also 8 Brettpunkte und überholt damit noch zwei andere Mannschaften. Das ist sportlich durch nichts zu
rechtfertigen. Und wer ist noch für eine klare Regel, wenn er die andere Mannschaft ist? Und wer ist eher für
eine faire Regel? Die faire Regel gibt es. Sie wurde in diesem Fall (allerdings auf Umwegen) durchgesetzt.
Der Turnierleiter bekam die Befugnis, daß Ergebnis "geeignet" festzusetzen, und genau das tat er auch. Nur so
konnte eine sportlich faire, regelgerechte Entscheidung entstehen. Dagegen spricht nur etwas, wenn man dem
Turnierleiter nicht vertraut. Dann gibt es noch das Schiedsgericht, aber man sollte schon einen fähigen TL
einsetzen, dem man auch solche Entscheidungen zutraut. Der Fall lag auch recht klar. Ich gehe davon aus, daß
bei unklarem Ausgang und entsprechender Befugnis ein Stichkampf angesetzt worden wäre.
In die Turnierordnungen gehört also ein Passus: "Sollten kampflose Ergebnisse Auf- und Abstieg beeinflussen,
ist der Turnierleiter berechtigt, geeignete Maßnahmen zu ergreifen." Fertig!
Und nochmal zur Manipulation: Ich habe keinerlei Hintergrundwissen zu dem Vorfall und gehe davon aus, daß
das folgende reine Fiktion ist, aber es wäre eine Möglichkeit, wie solch ein Vorfall sich wiederholen könnte.
Eine Mannschaft A trifft in der letzten Runde im Abstiegskampf auf Mannschaft B. A kam in den Abstiegskampf,
weil der Sponsor abgesprungen ist, die Wettkampfkosten dem Verein Probleme bereiten und damit auch die Spieler
nicht volle Leistung bringen. Es ist zu erwarten, daß die Mitgliederversammlung aber im Zweifel für einen
Verbleib in der oberen Liga stimmt und die Probleme für den Verein damit anhalten. Also macht der Vorstand dem
Gegner ein Angebot. Es fließt etwas Geld, die Spieler haben DWZ-Zuwachs sicher, da die erspielten Ergebnisse
der anderen Mannschaft egal sind und B hält sich durch einen "Formfehler" in der Liga. Nun entscheidet, ob dem
Turnierleiter die Hände gebunden sind.
Übrigens wurde als Reaktion erstmal versucht, dem Turnierleiter die Hände zu binden. Damit hätte man die
Situation sportlich verschlimmert, aber wohl für die Zukunft Zivilklagen vermieden. Können solch sinnfreie
Zivilklagen eigentlich als verbandsschädigendes Verhalten geahndet werden?